Das Europäische Aufbau- und Resilienz-Finanzierungsinstrument
Vergangene Woche stimmte das Europäische Parlament für die Umsetzung der sog. „Aufbau- und Resilienzfazilität“, dem Kernstück des Europäischen Aufbauprogramms Next Generation EU. Das Hilfsinstrument sieht die Gewährleistung von Darlehen und Zuschüssen im Umfang von jeweils 312,5 und €360 Mrd. € vor, welche verschiedene Investitionen aber auch Reformen der EU-Mitgliedsstaaten unterstützen sollen. Ziel ist es, die Corona-bedingten Schäden abzufedern, aber gleichzeitig Gesellschaft und Wirtschaft auch nachhaltiger und krisenfester zu gestalten. Es wird als „grünes“ Finanzierungsinstrument bezeichnet, da mindestens 37% des Betrags an Investitionen zur Bekämpfung bzw. die Anpassung an den Klimawandel geknüpft sind. Weitere mindestens 20 % sind für den digitalen Wandel vorgesehen. Insgesamt ist das Instrument auf 6 Finanzierungssäulen aufgebaut:
- Grüner Wandel
- Digitale Transformation
- Ökonomischer Zusammenhalt sowie Produktivität und Wettbewerb
- Sozialer und territorialer Zusammenhalt
- Gesundheit sowie ökonomische, soziale und institutionelle Resilienz
- Strategien für die nächste Generation.
Die 27 EU-Mitgliedsstaaten sind gegenwärtig angehalten, individuelle Aufbau- und Resilienzpläne zu erstellen, um an die bereitgestellten Mittel zu gelangen. Sie sollen ein kohärentes Paket an nationalen Investitionsinitiativen aber auch Reformvorschläge beinhalten. Erste Entwürfe konnten bereits seit Oktober 2020 eingereicht werden, wobei die endgültigen Versionen bis zum 30. April 2021 bei der Europäische Kommission eingehen sollen.
In der Zwischenzeit laufen parallel Gespräche zwischen der Europäischen Kommission und den einzelnen EU-Ländern. Wie kürzlich seitens der beiden beratenden EU-Organe (Ausschuss der Regionen und Wirtschafts- und Sozialausschuss) angemerkt wurde, passiert dieser Prozess derzeit weitgehend ohne umfassende Involvierung regionaler und lokaler Körperschaften, aber auch ohne breite, öffentlich ausgetragene Diskussion mit der Zivilgesellschaft. Eine von der NGO Bankwatch erstellte Tabelle über die Schritte, welche Mitgliedstaaten diesbezüglich unternommen haben, malt ein eher düsteres Bild. Nur wenige Staaten (z.B. Belgien und Portugal) haben einige wenige Initiativen ergriffen, von der Veröffentlichung der Pläne, dem Einbezug von Umweltorganisationen, der Veröffentlichung derer Rückmeldungen bis hin zu offenen Arbeitsgruppen oder der Durchführung einer strategischen Umweltprüfung (SUP).
Auch wird von Umweltorganisationen wie dem WWF kritisiert, welche Kriterien für die Feststellung von klimarelevanten Investitionen herangezogen werden. Die Einordung soll nach der EU-Taxonomie– Verordnung erfolgen, welche ein einheitliches Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten einführt. Befürchtet wird jedoch die Anwendung der ‚OECD/Rio marker‘- Methode, welche eine Einordung der Investitionen nach signifikanten sowie moderaten Klimabeiträgen zulässt. Laut einem Bericht des Europäischen Rechnungshofs birgt diese Methode das große Risiko, dass die unternommenen Klimainvestitionen stark überschätzt werden und dass einige Maßnahmen sogar zur Beschleunigung des Klimawandels beitragen könnten oder mögliche Umweltauswirkungen unberücksichtigt lassen.
Obwohl das 37% Finanzierungsziel für Klimaschutz von den Umweltorganisationen grundsätzlich willkommen geheißen wurde, machten einige auf den fehlenden direkten Bezug zur Biodiversitätspolitik der Europäischen Union aufmerksam. Hier ist auf eine Studie zu verweisen, welche, unter Mitarbeit bekannter Ökonomen wie Nicholas Stern oder Joseph Stiglitz, fiskalische Aufbauinstrumente und deren Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels analysiert. Investitionen in Naturkapital werden als eines jener Felder mit den höchsten Potentialen beschrieben, sowohl mit Blick auf ihre Rolle als volkswirtschaftliche Multiplikatoren als auch aufgrund ihrer positiven Auswirkungen auf den Klimawandel. Es betrifft auch die unmittelbare Umsetzbarkeit und Langfristigkeit entsprechender Maßnahmen, wie z.B. Wiederaufforstung, Renaturierung oder Verbesserung des Zustandes ländlicher Ökosysteme und Böden. In eine ähnliche Kerbe schlägt der erst kürzlich veröffentlichte Dasgupta-Bericht, eine von Professor Sir Partha Dasgupta geleitete Studie, welche sich mit der Rolle biologischer Vielfalt für die Volkswirtschaft auseinandersetzt. Er unterstreicht, dass Lösungen mit der Erkenntnis einer simplen Wahrheit beginnen: unsere Wirtschaft ist in der Natur eingebettet, und nicht außerhalb.
Wie reihen sich die Forderungen Südtirols ein?
Die Südtiroler Landesregierung stellte am 25. Januar 2021 einen ersten Entwurf ihrer im Rahmen der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne vorgeschlagenen Projekte im Umfang von 2,42 Mrd. € vor. Zwar fehlte auch hier im Vorfeld eine öffentliche, breite Diskussion, jedoch geht das Land dadurch schon einen Schritt weiter als viele nationale Ministerien, welche von einer Veröffentlichung bis dato absahen. Allerdings geht sie bei der Darlegung von Details ebenso sparsam vor, wie so mancher von Mitgliedsstaaten veröffentlichter Bericht. Zudem gibt sie keine Einblicke in mögliche Reformpläne, welche mit den geplanten Investitionen einhergehen sollten. Dies kann auch dem Grund geschuldet sein, dass diesbezüglich bisher nicht unbedingt ein vertiefter Austausch im Rahmen eines nationalen Prozesses erfolgte.
Die geplanten Südtiroler Investitionen gliedern sich in folgende Bereiche (sortiert nach der Höher der Finanzierung):
- Grüne Revolution und ökologischer Wandel (1,02 Mrd. €)
- Digitalisierung, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit (556 Mio. €)
- Gesundheit (364 Mio. €)
- Soziale und territoriale Gerechtigkeit, Gleichstellung der Geschlechter (270 Mio. €)
- Infrastruktur für die Mobilität (125 Mio. €)
- Ausbildung, Bildung, Forschung und Kultur (83 Mio. €)
Sie ähneln den 6 Finanzierungssäulen der EU, mit einigen Abweichungen: der Fokus auf Infrastruktur für Mobilität, die Bündelung von Digitalisierung und ökonomischen Themen sowie das Fehlen des Bezugs auf ökonomische, soziale und institutionelle Resilienz oder Strategien für zukünftige Generationen. Es kann nur angenommen werden, dass dies teils im Rahmen der Themenbereiche Bildung oder Gleichstellung der Geschlechter aufgegriffen wird.
Die Liste umfasst eine Vielzahl von Projekten im Bereich Klimaschutz und Umwelt. Die Schwerpunkte Bahn, Öffentlicher Nahverkehr, Ausbau des Radwegenetzes, Energieeffizienz, energetische Gebäudesanierung und regionale Kreislaufwirtschaft sind hier generell zu begrüßen. Hier wirken die größten Projekte, zumindest dem Titel nach, vielversprechend:
- 2.2.1 Ausbau und Modernisierung des Eisenbahnnetzes in Südtirol. (124 Mio. €)
- 2.2.2 Electri-City: Public Transport reloaded. (99 Mio. €)
- 2.6.1 Klimaschutzmaßnahmen zur Unterstützung von Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und effizienten und smarten Energieübertragungsinfrastrukturen im Rahmen des Südtiroler Klimaplans. (70 Mio. €)
- 2.3.1 Stärkung der Infrastruktur und Kapazität für wissenschaftliche Forschung und Innovation zur Schaffung einer wiederkehrenden, digitalen und nachhaltigen Lebensmittelkette in den Bergen. (67 Mio. €)
- 2.2.5 Infrastruktur für die Vervollständigung des Fahrradnetzes in Südtirol. (65 Mio. €)
Im selben Bereich sind allerdings auch Projekte aufgeführt, deren effektiver Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz einer genaueren Überprüfung unterzogen werden müssten, wie zum Beispiel:
- 2.1.3 Speicherbecken und Multifunktionsspeicher für die Beschneiung in den Südtiroler Skigebieten. (21 Mio. €)
- 2.4.2 Errichtung des öffentlichen Schlachthofes Bozen. (8 Mio. €)
- 2.4.3 Errichtung des Gebäudes der Neuen Agentur für Umwelt und Klimaschutz. (35 Mio. €)
- 2.4.4 Liegenschaftsinstandhaltung und Facility Management der Landesverwaltung. (41 Mio. €)
Zudem fällt auf, dass einig wichtige Bereiche wie zum Beispiel Projekte zu klimaneutraler Landwirtschaft oder Resilienz im Tourismussektor fehlen. Und ein deutlicher Schwachpunkt, ist die Vernachlässigung von möglichen Investitionen im Themenbereich Biodiversität, gesunde Ökosysteme und Naturkapital. Dies betrifft nicht nur die Bewahrung extensiver Berglandwirtschaft sondern auch Maßnahmen zum nachhaltigen Waldmanagement, zur Gewährleistung einer Vielfalt an Funktionen wie Schutz vor Naturgefahren oder Kohlenstoffspeicher, oder der Bereitstellung von Grünraum auch als ökologische Infrastruktur in der Stadt, um den Hitzeinseleffekt zu bekämpfen.
Und auch einige aufgelistete Projekte aus anderen Themenbereichen dürften zumindest schon rein vom Titel her zu der einen und anderen gehobenen Augenbraue und Zweifeln führen, ob deren effektiven Beitrag zu einem zukunftsfähigen Südtirol (z.B. 5.3. Campagna Brand Südtirol im Bereich soziale und territoriale Gerechtigkeit, 77 Mio €).
Eine wirklich fundierte Einschätzung, ob und inwieweit diese Projekte in der Lage sind, die einmalige Chance eines immensen EU-Finanzierungsschubs für eine grundlegende Transformation Südtirols in Richtung Klimaneutralität, Nachhaltigkeit, gerechte Entwicklung und Resilienz zu nutzen, kann aus den vorliegenden Unterlagen nicht abgeleitet werden. Es entsteht der Eindruck: der Wille ist da, in einzelnen Bereichen sind konkrete Maßnahmen geplant. Es fehlt jedoch eine Gesamtstrategie, eine Art „Next Generation Südtirol“ zur Transformation verschiedener Systeme, welche helfen würden, einen zu starken Rückgriff auf scheinbar schnell verfügbare Vorschläge zu vermeiden.
Beim 4. Punkt, Soziale und territoriale Gerechtigkeit, Gleichstellung der Geschlechter (270 Mio. €) wuerde ich … Gleichstellung der Geschlechter und der Sprachgruppen hinfuegen, weil es jetzt keine solche Gleichstellung gibt.
Beim 4. Punkt, Soziale und territoriale Gerechtigkeit, Gleichstellung der Geschlechter (270 Mio. €) wuerde ich … Gleichstellung der Geschlechter und der Sprachgruppen hinfuegen, weil es jetzt keine solche Gleichstellung gibt.
tolle Initiative; war heute das erste Mal dabei. -werde auch weiterhin gerne dabei sein und gerne meinen Beitrag leisten
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