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Faktencheck: Dialog zwischen Anna Scarafoni und Zeno Oberkofler im Rahmen der Südtiroler Blinddates

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Faktencheck von Scientists for Future South Tyrol der Aussagen in:


Im Dialog zwischen Anna Scarafoni und Zeno Oberkofler im Rahmen der Südtiroler Blinddates sind einige Unwahrheiten und gefährliche Halbwahrheiten geäußert worden. Mathematiker und Klimawissenschaftler Michael Matiu, der Chemiker Hans Georg Gallmetzer und die Philosophin Marlene Erschbamer von Scientists for Future haben sich mit den Aussagen der beiden Debattierenden beschäftigt und einem Faktencheck unterzogen. Die Ergebnisse sind in einem Kurzessay und Aussagen-check im Folgenden zusammengefasst. Obwohl wir einräumen, dass die Beschäftigung mit dem Klimaleugnertum inzwischen in vielen Situationen kontraproduktiv sein kann, da so vom relevanten Diskurs abgelenkt wird, erachteten wir diese Aufklärungsarbeit trotzdem als notwendig in Anbetracht der bevorstehenden Wahlen und der Tatsache, dass die beiden Debattierenden für diese Wahlen aufgestellt sind.

Faktencheck

Anna Scarafoni 9:35 “I pianeti, che fanno parte di questo sistema hanno influenze di tipo elettromagnetico sulla terra, in primo luogo, ma anche sull’intero sistema.”

Frau Scarafoni verwechselt hier elektromagnetische Strahlung mit Gravitation. Die Planeten unseres Sonnensystems beeinflussen sich in ihrer Laufbahn um die Sonne ausschließlich durch Gravitationswechselwirkungen. Die einzige Energiequelle der Erde, abgesehen von der Erdwärme, ist die Sonne. Ohne Absorption der elektromagnetischen Strahlung der Sonne, würde die Erde eine durchschnittliche Oberflächentemperatur von -18°C anstelle von 14°C haben. Die Energie der Erde befindet sich in einem Gleichgewicht mit der elektromagnetischen Strahlung der Sonne, dieses Gleichgewicht wird durch die Absorptionsrate der Atmosphäre bestimmt. Ändert sich die Absorptionsrate der Erdatmosphäre auch nur geringfügig, so ändert sich auch die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Erde.

Anna Scarafoni 10:17 “Il riscaldamento globale … dipende dalle variazioni dell’asse terrestre nel suo movimento rispetto al sole.”

Die erwähnten Phänomene haben einen Einfluss auf das globale Klima. Allerdings wirken sie auf Zeitskalen von 10.000e bis 100.000e Jahre und können folglich nicht die rasanten Veränderungen der letzten 100 bis 150 Jahre erklären.

Anna Scarafoni 10:24 “Siamo la coda di una mini glaciazione che avvenuta tra il 1500 e il 1700.”

Die erwähnte kleine Eiszeit dauerte ungefähr vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Die aktuellen Veränderungen sind aber von ganz anderer Größenordnung sowohl was die absoluten Temperaturunterschiede angeht, als auch ihre Änderungsrate. Wir befinden uns nicht auf einer zyklischen Rückkehr zu einem “Normalzustand” vor dieser Mini-Eiszeit.

Anna Scarafoni 10:40 “Quando Annibale attraversò le Alpi non c’era neve … perché se no non avrebbero potuto passare Moncenisio con gli elefanti.”

Historiker sind sich nicht einig, wo genau Hannibal die Alpen überquert hat, jedoch sind sie sich einig, dass die Überquerung im späten Sommer bzw. frühen Herbst stattgefunden hat. Zu dieser Jahreszeit sind die Pässe ohnehin frei von Schnee und somit ist der Übergang am leichtesten. Für den von Anna Scarafoni zitierten möglichen Pass bei Moncenisio auf ca. 2000m liegt von Juni bis Oktober im Mittel kein Schnee auf dem Boden (bezogen auf den Zeitraum 1939-2014).

Zeno Oberkofler 13:32 “Tutti gli scienziati a livello globale sono unanimi…”

Leider nicht, sonst hätte Anna Scarafoni, die sich ja auch als Wissenschaftlerin sieht, eine andere Meinung. Zeno Oberkofler korrigiert sich selbst später (15:20 “Tutti gli scienziati climatologi“). In den Klimawissenschaften sind sich mehr als 97% Prozent einig. Unter der gesamten Bevölkerung ist der Prozentsatz geringer, und sie unterschätzt den wissenschaftlichen Konsens erheblich. Es gibt kein nationales oder internationales wissenschaftliches Gremium, was dem menschengemachten Klimawandel widerspricht. Die Erklärung, die Frau Scarafoni zitiert und die behauptet, dass es keinen menschengemachten Klimawandel gäbe, wurde nur von 1200 und nicht 1600 unterschrieben. Von den Unterzeichnern waren 21% Ingenieure (also keine Wissenschaftler), viele davon haben Verbindungen zur Ölindustrie, weniger als 1% aus den Klimawissenschaften und deren Initiator (Guss Berkhout) hat vorher bei Shell gearbeitet und verkauft Geo-Imaging Geräte an Öl-Konzerne. Im Gegensatz dazu warnen fast 15.000 Wissenschaftler*innen aus über 150 Ländern und verschiedenen Fachrichtungen vor einem Klimanotstand.

Anna Scarafoni 16:05 “Dimmi quanto inquina l’Italia percentuale in termini di CO2.” 

Aktuell macht Italien jährlich 0.8% des globalen CO2 Ausstoßes aus. Historisch gesehen, also gemessen am gesamten globalen CO2 Ausstoß seit 1750, ist der Anteil Italiens 1.44%. Dazu im Vergleich: Italiens Anteil an der Weltbevölkerung ist 0.73%, also verursacht Italien mehr Emissionen als der globale Durchschnitt. Interessanterweise schwenkt Scarafoni von ihrer Leugnung, dass Treibhausgase die Ursache für die globale Erhitzung sind, ab und versucht stattdessen mit dieser Frage die Verantwortung Italiens zu relativieren. Die unterstellte Bedeutungslosigkeit der Emissionen eines Staates aufgrund des vermeintlich kleinen Anteils an den Gesamtemissionen ist irreführend und wird als Argument zur Verzögerung der Ergreifung notwendiger Maßnahmen herangezogen. Es ist äußerst gefährlich, da es oberflächlich betrachtet einleuchten kann, allerdings geopolitische Aspekte ignoriert und der Klimagerechtigkeit nicht gerecht wird, wie auch der Tatsache, dass wir netto-null Emissionen bis spätestens 2050 erreichen müssen. Es wird beispielsweise verschleiert, dass Italiens Konsumverhalten verallgemeinert auf die Gesamtbevölkerung unseres Planeten aktuell 2.7 Erden verbrauchen würde. Emissionsreduktion muss als globales Problem betrachtet werden, Staaten im globalen Norden haben eine historische Verantwortung aufgrund ihrer deutlich höheren kumulativen Emissionen, diplomatisch kann Italien, wie Europa als ganzes, andere Staaten – wie zum Beispiel China oder Indien – nur dann glaubhaft zu mehr Klimaaktion drängen, wenn es selbst seiner Verantwortung nachkommt (mehr über die geopolitische Dimension der Entscheidungen der EU und damit auch Italiens kann man hier lesen). Zudem ist Italien eine der größten Volkswirtschaften in Europa und Teil der G7 und deshalb hätte die Entscheidung Italiens ernsthaft in Klimaaktion zu treten eine große Signalwirkung wie auch konkreter Marktwirkung.

Anna Scarafoni 18:10 “Quando la politica domina la scienza è solo per interessi economici.”

Hier wird gefährliche Diskreditierung der Wissenschaft im Allgemeinen betrieben, während eine genauere Unterscheidung nötig wäre und gleichzeitig wird davon abgelenkt, wo die eigentlichen wirtschaftlichen Interessen liegen. Zuerst zur Diskreditierung der Wissenschaft als Ganzes: Interessenkonflikte spielen eine große Rolle im technischen und medizinischen Bereich, wo der Großteil der Forschungsförderung aus privaten Mitteln stammt. Frau Scarafoni verallgemeinert ihren pharmazeutischen Standpunkt (18:24 “Io nella scienza ci lavoro.”), bei dem tatsächlich Unternehmensinteressen zu anderen Ergebnissen geführt haben als unabhängige Untersuchungen. In den Natur- und Sozialwissenschaften ist dagegen der Großteil der Forschung öffentlich finanziert und damit viel unabhängiger von Interessenskonflikten. Zumindest in demokratisch geführten Regierungen. In autokratischen oder faschistischen Regierungen ist die Wissenschaft großteils nicht unabhängig. Frau Scarafonis Aussage, die ihrer Parteiphilosophie entspricht, stellt dies in Minute 11:16 klar: “Gli studi scientifici sono bypassati attraverso la politica. La politica ha enormi interessi.” Die heutige Wissenschaft kann und will die Gesellschaft frei und unabhängig informieren. Frau Scarafoni und ihre Fratelli können und wollen das Gegenteil: Selbst bestimmen, was die Wissenschaft zu sagen hat. Was eine Vertreterin der Fratelli d’Italia sich hier unter Wissenschaft vorstellt, entspricht nicht der Wahrheit und wäre in Zukunft extrem gefährlich und schädlich für unsere Gesellschaft.
Nun zur Frage, welche ökonomischen Interessen nachgewiesenermaßen versuchen Einfluss auf die Ergebnisse der Klimaforschung zu nehmen: gewichtige Teile der Wirtschaft haben enorme Interessen, den Status quo zu erhalten, der ihnen enorme Profite beschert. Allen voran “Big Oil”, die weltweit größten Mineralölunternehmen. Die sechs größten hatten 2022 einen Gewinn (!) von 219 Milliarden US Dollar. Ein anderer Vergleich: Die Top Ten der Mineralölunternehmen erzielten 2022 einen Umsatz von 2,24 Billionen US Dollar, mehr als das gesamte Bruttoinlandsprodukt von Italien. Unternehmen der fossilen Industrie finanzieren seit Jahrzehnten Desinformationskampagnen (siehe auch diesen Link), um eine offene und faire Klima-Debatte zu verhindern. Auch wurde von ihnen Forschung finanziert, um den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel zu relativieren und vom eigentlichen Problem abzulenken. Aber auch der Finanz- und Bankensektor verdienen groß an ihren Investitionen in die fossile Industrie.

Anna Scarafoni 24:40 “L’innalzamento delle temperature è 7 decimi di grado ogni 100 anni.” 

Fast richtig, die aktuellen Schätzungen liegen bei 8 Zehntel, also 0.8 Grad, pro Jahrhundert – bezogen auf den Zeitraum seit 1880. Die Vergangenheit lässt sich aber nicht 1:1 auf die Zukunft übertragen, da der Temperaturanstieg direkt mit dem CO2-Ausstoß zusammenhängt und dieser heute viel höher als 1880 ist. Die aktuelle Änderungsrate, bezogen auf die letzten 40 Jahre, ist mit 1.8 Grad mehr als doppelt so hoch. Und in einem business-as-usual Szenario sind für das 21. Jahrhundert auch schonmal 4 bis 5 Grad möglich. Also um ein Vielfaches mehr als die eingangs zitierten 7 Zehntel pro Jahrhundert.

Mythen, Märchen und Scarafoni – eine philosophische Richtigstellung.

© Marlene Erschbamer

Die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Torf, Erdöl und Erdgas erwärmt unseren Planeten und treibt den Klimawandel voran. Dadurch geraten die Ökosysteme aus dem Gleichgewicht, mit oft verheerenden Folgen, die Mensch und Umwelt massiv bedrohen. Obwohl es immer schwieriger wird, gegen den wissenschaftlichen Konsens zu argumentieren, passen die Leugner des menschengemachten Klimawandels ihren Diskurs strategisch an ihr politisches Umfeld an. Dies geschieht durch den Wechsel zwischen den Narrativen „Klimawandel findet nicht statt“, „Klimawandel findet statt, aber der Mensch ist nicht dafür verantwortlich“ und „Klimawandel findet statt, aber es gibt keinen Grund zur Sorge“. So auch Anna Scarafoni, die argumentiert, dass die globale Erwärmung ein natürlicher Prozess sei und mit dem Ende der letzten Eiszeit in Verbindung gebracht werden müsse.

Um diese Lügen aufrechtzuerhalten, ist es notwendig, Tatsachen zu verdrängen oder als falsch abzustempeln, ohne sie nachvollziehbar und haltbar begründen zu können. Dies ist kein neues Phänomen, sondern lässt sich in der Geschichte immer wieder beobachten. Man denke nur an die Vehemenz, mit der einst versucht wurde zu behaupten, die Erde sei der Mittelpunkt, um den sich auch die Sonne dreht, oder an die vermeintliche Legitimation, Hexen auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, ganz zu schweigen von den Diskursen, mit denen in manchen Teilen der Welt Völkermord gerechtfertigt wurde und wird. Ein solches Verhalten – das Aufrechterhalten von Lügen – wird in der Philosophie seit Jahrhunderten diskutiert. Nach dem Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) ist es leichter, sich selbst und andere zu täuschen, als Widersprüche aufzudecken. Er nennt diese Art der Unaufrichtigkeit sich selbst gegenüber den „eigentlichen faulen Fleck in der menschlichen Natur“. Kant bezeichnet ein solches Verhalten auch als Schwäche des Individuums, als Zeichen mangelnden Gewissens und als Manifestation des radikal Bösen in der menschlichen Natur. Es ist, so Kant, ein Zeichen von Feigheit, die in die Unmündigkeit führt, statt Verantwortung zu übernehmen.

Was sagt uns das für die Analyse des Südtiroler Blinddates mit Scarafoni? Nach wie vor besteht eine gängige Taktik darin, die Ernsthaftigkeit des anthropogenen Klimawandels zu leugnen, indem Unsicherheiten in der wissenschaftlichen Beweislage angeführt, Klimawissenschaftler angegriffen und die Klimawissenschaften insgesamt als umstrittenes Gebiet dargestellt werden. Ein Narrativ, dessen sich auch Scarafoni im Gespräch mit Zeno Oberkofler bedient. Studien zeigen, dass die Gründe für Wissenschaftsverweigerung komplex und vielfältig sind: Persönliche psychologische Mechanismen spielen dabei ebenso eine Rolle wie organisierte Lobbyarbeit.

Da sich Scarafoni nachdrücklich auf ihr Interesse an der Philosophie beruft, hier ein Versuch nach dem griechischen Philosophen Sokrates (469–399 v. Chr.): Sokrates war sich der Macht von Information und Desinformation bewusst und forderte seine Schüler auf, ihre Aussagen durch drei Siebe zu prüfen, bevor sie sie aussprechen:

  1. Ist die Aussage wahr?
  2. Ist die Aussage gut?
  3. Ist die Aussage wichtig und notwendig?

Wenn nein, dann ist es besser zu schweigen und weder sich selbst noch andere mit Fehlinformationen zu belasten.
Was passiert, wenn Scarafonis Aussagen über die Nichtexistenz des anthropogenen Klimawandels und ihre Kritik an der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft durch die sogenannten Drei Siebe des Sokrates geprüft werden?

Ad 1. Ist die Aussage wahr? – Weltweit sind sich mehr als 97% aller Klimawissenschaftler*innen einig, dass der Mensch den aktuellen Klimawandel verursacht. – Ihre Aussage ist also NICHT wahr.
Viel gravierender ist jedoch ihre Kritik an der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft und was solche Aussagen darüber hinaus implizieren – eine Wissenschaft, die nicht unabhängig arbeitet, sondern Ergebnisse nach parteipolitisch gewünschten Narrativen zusammenbastelt? Ein erschreckendes Szenario, das an den Grundfesten jeder Demokratie rüttelt!

Ad 2. Ist die Aussage gut? – Die Leugnung des menschengemachten Klimawandels minimiert und untergräbt die Verantwortung des Menschen, der nachweislich der Hauptverantwortliche für das Dilemma ist, in dem wir uns befinden. Durch geschickte und gut platzierte Rhetorik werden den Menschen falsche Informationen verkauft. Die Notwendigkeit zu handeln wird daher nicht immer erkannt. – Ihre Aussage ist NICHT gut, weder für die Menschen noch für die Umwelt.

Ad 3. Ist die Aussage notwendig? – Statt die Notwendigkeit des gemeinsamen Handelns zu erkennen und die Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen durch die Politik voranzutreiben, verharren wir immer noch im Diskurs darüber, ob es überhaupt einen menschengemachten Klimawandel gibt. Wir haben bereits wertvolle Zeit verstreichen lassen und sehen weiter zu, wie die Erde, wie unser aller Lebensgrundlage zerstört wird. – Ihre Aussage ist NICHT notwendig.

Der koreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han (*1959) weist darauf hin, dass eine Wahrheitskrise immer auch eine Gesellschaftskrise widerspiegelt. Gerade in solchen Situationen sprießen Verschwörungstheorien wie Pilze aus dem Boden. Durch solche Erzählungen wird versucht, Identität zu stiften. Das ist vor allem in rechten Lagern zu beobachten, wo ein ausgeprägtes Identitätsbedürfnis besteht. Das „Angenehme“ an solchen Theorien ist, dass sie jedem Faktencheck standhalten, da es sich um Erzählungen handelt. Diejenigen, die sie verbreiten, sehen sich durch Faktenchecks meist nur bestätigt. Bleibt zu hoffen, dass sich genügend Menschen ihres eigenen Verstandes bedienen und nicht fiktiven Erzählungen hinterherlaufen.